Das Motorradtreffen

 

Eigentlich müssen Motorradfahrer immerfort fahren, fahren, fahren.
Das hat zwei Gründe. Der erste ist ein fahrphysikalischer: Einem stehenden
Motorrad fehlen die stabilisierenden Kreiselkräfte. Es fällt um. Der zweite
Grund ist ein thermischer: Die Abkühlung des Körpers durch den Fahrtwind ist
enorm und steigt im Quadrat der Geschwindigkeit. Man muß sich warm anziehen.
Demzufolge ist ein stehender Motorradfahrer stets viel zu warm angezogen.
Aus der Not haben die Motorradfahrer eine Philosophie gemacht:
Der Weg ist das Ziel. Das Verbrennen fossiler Brennstoffe ist ein Wert an sich,
gestoppt wird nur zum Tanken und am Begrenzungspfahl.
Nun hat der Motorradfahrer aber höhere Interessen: Er will, daß man bewundernd
um seine Maschine herumsteht, über die speziellen Federbeine,
den Mikuni Vergaser - und den Stahlflex - Bremsleitungskit spricht und fragt,
welcher TÜV den mordsmäßig lauten Krawalltüten seinen Segen gegeben hat.
Zur Befriedigung solcher Bedürfnisse wurden die Motorradtreffs erfunden.
Ein Motorradtreffen entsteht so: Jemand hängt in der Stadt Plakate auf und
schaltet Anzeigen in Motorradillustrierten, die besagen, daß es jetzt endlich
den Motorradtreff mit Gebrauchtbörse, Tatoos, Ledermoden, Benzin reden,
Burnout - und Ausziehn - Ausziehn - Show und Motorradkorso durch die Innenstadt gebe.
Schon versammeln sich am Sonntag auf einer Industriebrache hundert
Motorradfahrer, treten von einem Bein aufs andere und sind zu warm angezogen.
Ihre hochentwickelte Kommunikationsform heißt 'Benzin reden'
('Masse Japsenhobel hier'; 'Die Reisschüsseln gehen einem tierisch auf den Senkel';
'Na ja, Hauptsache Wetter stimmt'; 'Ich krieg' mein Setup heute nicht richtig hin').
Ein Mann namens Black Rat läßt derweil sein Hinterrad so lange durchdrehen,
bis alles Gummi am Asphalt klebt und der Reifen platzt. Das heißt 'Burnout',
ist laut und stinkt und gilt als unverzichtbares Opferritual bei Treffen.
An Tapetentischen demonstrieren die Motorradfahrer ihr unverkrampftes
Verhältnis zum Tod, indem sie Totenköpfe zum Umhängen oder Aufbügeln kaufen
oder sich auf den Oberarm tätowieren lassen, und sie lassen coole Sprüche ab
('Bei 250 hast Du keine Freunde mehr'; 'Mich interessiert nur der eine vor mir').
Mittags bricht man auf zum Korso durch die City, 5000 dröhnende PS - eine machtvolle
Demonstration für irgendwas. Der Mann. Die Maschine. Schwarzes Leder. Schwarzer Lack.
Wem ein Treffen als solches nicht reicht, der stellt es unter ein Motto.
Man unterscheidet Elefantentreffs, Oldtimertreffs, Markentreffs, Güllepumpentreffs
oder Problemgruppentreffs (z. B. Gespannfahrer, Women on wheels
(mit Pannenkurs, nur für Lesben)), Enduro - Treffs, Goldwing-Treffs, BMW-Treffs.
Harley-Davidson-Fahrer sind verdammt harte Jungs. Ganzkörpertattoo, schnelle Fäuste.
Schlimme Machos. Sie rauchen schwarzen Tabak, tragen dicke Bärte
(wo die Zigarette rausguckt, ist vorne) und tragen schwarze T-Shirts,
die über dem Bauch spannen. Ein feister Bauch gilt als männlich. Der Rest der
Garderobe muß aus schwarzem Leder mit Fransen sein. Das ist zwingend vorgeschrieben.
Sie tragen schwarze Sonnenbrillen. Das ist zwingend vorgeschrieben.
Auf der Rückseite ihrer Lederwestchen steht 'Death Angels' oder 'Black Rats'.
Nur Harley - Brüder ('Bros') dürfen solche Westchen tragen.
Sie hauen Japsen-Hobel kurz und klein, singen 'Symphathy for the devil' und
'Born to be wild', spielen Luftgitarre, fordern sich ständig zum Schwanzvergleich
auf und saufen Krefelder ('Hey, Torte, laß mal 'n Krefelder rüberwachsen!').
Harley-Fahrer gehen, als hätten sie sich in drei Tagen auf einem Pferderücken
durch South Dakota eine offene Wunde zwischen den Oberschenkeln geritten.
Dieser Gang ist zwingend vorgeschrieben. Die Vorderräder einer Harley haben
keine Bremse ('what for?'), die lebendige Ausgabe der Airbrush-Tussi auf dem
daumennagelgroßen Benzintank sitzt nackt auf dem Rücksitz. Es gibt kleine Platten
am Vorderrad, so daß man die Füße hochlegen kann. Das hilft bei Krampfadern.
Bros haben keine Angst vor Geschwindigkeitskontrollen. Unterwegs grüßen sie
einander nicht, weil sie sich alle schon morgens in der Werkstatt begrüßt haben.
Aber sie grüßen Weicheier mit weniger als 100 ccm, weil sie durch ihre Sonnenbrille
nichts sehen können.
Unangefochtener Treff-Klassiker ist das Elefantentreffen.
Mitten im Winter versammeln sich in einemschneesicheren Gebiet - z. B.
im Bayerischen Wald - beinharte Motorradfahrer bei Glühwein und Pichelsteiner
Eintopf zur 89. Eiszapfenfahrt. Sie wohnen in Zelten, verachten Sommerfahrer und
singen am Lagerfeuer 'Hart ist der Zahn der Bisamratte - doch härter ist die Morgenlatte'.
1953 trafen sich die ersten vier 'Elefanten' in einem Privatgarten.
24 Jahre später waren es allein in der Eifel 30.000, die 26 Schwerverletzte zurückließen
und einen toten Polizisten. Seitdem haben sich die Elefantentreffen deutlich zivilisiert.
Bei jedem Treffen, das auf sich hält, gibt es einen Moment schönster und tiefster
Gefühle - die Gedenkminute. Die Motorradfahrer gedenken ihrer Toten. Es ist Nacht.
Fackeln sind ausgegeben. Eine Liste wird verlesen: Harry in der algerischen Wüste ...
Mike auf der Route 66 ... Betroffenheit, ja Tränen findet man dann in harten,
wettergegerbten Gesichtern.

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